Corona-bedingter Kündigungsschutz: Was er für Mieter und Vermieter im Alltag bedeutet
Vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 mussten säumige Mieter keine ordentlichen oder fristlosen Kündigungen ihrer Wohnungen fürchten, falls der Zahlungsverzug durch die Corona-Krise bedingt sein sollte. Das Gesetz lässt jedoch einige Fragen offen, was die Anwendung in der Praxis erschwert. Immobilienanwältin Ricarda Breiholdt berichtet, was das Gesetz für Mieter und Vermieter tatsächlich bedeutet.
§ 2 zu Art. 240 EGBGB
„Der Vermieter kann ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.“
immoverkauf24: Frau Breiholdt, haben Sie in Ihrer Praxis viel mit den Auswirkungen des Gesetzes zu tun?
Ricarda Breiholdt: Ja, und zwar ganz schön viel. Und meine Arbeit hat sich zudem sehr verändert, denn es geht momentan gar nicht so sehr darum, Recht anzuwenden. Stattdessen gilt es Lösungen sowohl für Mieter als auch Vermieter zu finden, mit denen sie leben können, ohne dass ihre Existenz bedroht ist. Ich muss also sehr viel vermitteln und verhandeln. Denn wenn Wohn- oder Gewerbemieter ihre Miete aufgrund der Corona-Krise einfach nicht zahlen können, dann nützt es häufig gar nichts, rechtliche Konsequenzen anzudrohen.
Seit der Corona-Krise geht es für Anwälte viel ums Vermitteln zwischen Mietern und Vermietern
immoverkauf24: Sind es eher Mieter oder Vermieter, die Ihre Hilfe in Anspruch nehmen?
Ricarda Breiholdt: Bei der Gewerberaummiete vertreten wir beide Parteien, bei der Wohnraummiete eher Vermieter.
In der alltäglichen Praxis sind es bislang nur wenige Wohnraumieter, die Corona-bedingt ihre Miete nicht zahlen können. Die meisten kriegen es bis jetzt auch bei Einbußen – z.B. bei Kurzarbeit – doch noch irgendwie hin oder haben Transferleistungen oder ähnliches beantragt. Und die wenigen Wohnraummieter, die in den Monaten April, Mai oder Juni nicht gezahlt haben, werden zunächst erst einmal schriftlich gebeten, den Zusammenhang zwischen Nichtzahlung der Miete und Covid-19-Pandemie glaubhaft zu machen. Bei den Wohnraum-Vermietern besteht in aller Regel auch eine große Bereitschaft, die jeweils offene Miete im Wege einer Einigung zu stunden oder ggf. abzuwarten, bis beispielsweise das Jobcenter die Zahlung für den Mieter anweist.
immoverkauf24: Wie können Mieter nachweisen, dass die Zahlungsunfähigkeit Corona-bedingt ist?
Ricarda Breiholdt: Dazu können sie etwa eine eidesstattliche Versicherung abgeben, so steht es auch im Gesetz. Oder sie können Unterlagen einreichen, etwa einen Bescheid des Arbeitgebers über Kurzarbeit oder einen Beleg, dass ein Antrag beim Job-Center gestellt wurde.
Eidesstattliche Versicherungen sind für Mieter nicht immer empfehlenswert, denn wenn sie eine falsche Erklärung an Eides Statt abgeben, können sie sich damit unter Umständen strafbar machen. Das ist vielen nicht bewusst. Deshalb würde ich Wohnraum-Mietern raten, den Nachweis anderweitig zu erbringen, beispielsweise durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen.
Empfehlung für Mieter: Zahlungsunfähigkeit besser durch Unterlagen nachweisen statt durch eidesstattliche Erklärungen
In manchen Fällen stellt sich bei Prüfung der Nachweise aber auch heraus, dass die Mietzahlung aus anderen, nicht Pandemie-bedingten Gründen eingestellt wurde und der Mieter schon vor der Corona-Krise Zahlungschwierigkeiten hatte. In solchen Fällen greift der Kündigungsschutz aus Art. 240 EGBGB nicht. In diesen Fällen werden in der Praxis auch deshalb von den Wohnraum-Vermietern weiterhin Kündigungen ausgesprochen.
immoverkauf24: Im Gesetz ist kein Zeitraum benannt, innerhalb dessen die Mieter den Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie glaubhaft machen müssen. Stellt das eine Schwierigkeit dar?
Ricarda Breiholdt: Ja, über das Thema streiten in der Tat auch die Rechtsgelehrten. Denn wenn etwa ein Mieter die Glaubhaftmachung erst erbringt, nachdem ihm gekündigt wurde und es zu einem Gerichtsverfahren gekommen ist, stellt sich die Frage, wer die Verfahrenskosten zu tragen hat. Manche meinen, es müsste der Vermieter sein, denn dieser habe die Klage angestrengt.
Ich halte das für falsch, jedenfalls dann, wenn der Vermieter den Mieter zuvor aufgefordert hat, nachzuweisen, dass er Corona-bedingt nicht zahlt. Wenn der Mieter darauf nicht reagiert, meine ich, dass die Verfahrenskosten dem Mieter auferlegt werden müssten. Aber diese Frage ist noch offen, denn es gibt bisher ja noch keine Rechtsprechung dazu.
Für Vermieter empfehlenswert: Den Mieter schriftlich, also nachweisbar aufzufordern, den Zusammenhang zwischen Nichtzahlung und Corona zu belegen
immoverkauf24: In welchem Maße muss der Mieter denn finanziell eingeschränkt sein, dass er „zu Recht“ behaupten kann, keine Miete mehr zahlen zu können? Wie viele Mittel darf er für andere Zwecke einbehalten?
Ricarda Breiholdt: Auch das ist eine Frage, die die Juristen in der hierzu bislang veröffentlichten Literatur heiß diskutieren. Ich meine: Es kann nur um sogenannte liquide Mittel gehen. Hat also ein Mieter Geld auf seinem Bank-Konto, von dem er die Miete zahlen könnte, muss er dies auch einsetzen. Jedenfalls bis zu der jeweils geltenden Pfändungsfreigrenze. Diese bestimmt, in welcher Höhe ein Schuldner Geld einbehalten darf, das nicht gepfändet werden kann. Das sind zurzeit für Menschen ohne Unterhaltspflichten 1.178,59 Euro monatlich. Hat der Mieter keine liquiden Mittel, sein Geld aber z.B. in eine Immobilie investiert oder in eine Lebensversicherung gesteckt, muss er – aus meiner Sicht – dieses Vermögen nicht antasten, um seine Miete aufzubringen. So jedenfalls meine Einschätzung, denn entsprechende Urteile gibt es ja noch nicht.
immoverkauf24: Mit welchen Problemen kommen Mieter und Vermieter von Gewerberäumen auf Sie zu?
Ricarda Breiholdt: Für viele Mieter besonders von Einzelhandelsflächen waren die vergangenen Monate natürlich hart, weil sie durch die Betriebs-Schließungen keinerlei Einnahmen hatten. So ging es etwa einigen jungen Gründern mit immerhin schon sechs Ladengeschäften in Hamburg, die auf mich zugekommen sind. Die hatten noch keine Rücklagen erwirtschaften können und waren schlicht nicht in der Lage, die Miete für alle Mietobjekte weiter zu zahlen. In deren Auftrag bin ich an die jeweiligen Vermieter herangetreten, um Möglichkeiten zu eruieren und Einzelfall-Lösungen zu finden. Und tatsächlich haben sofort vier der sechs Vermieter von sich aus eine Stundung der kompletten Mietbeträge zugesagt. Dafür sollte dann eine Stundungsvereinbarung aufgesetzt werden, die jedenfalls für befristete Gewerberaummietverträge wichtig ist, denn dort muss die Schriftform nach § 550 BGB eingehalten werden. Bei unbefristeten Verträgen reicht es hingegen, die Stundungsvereinbarung per Mail oder Brief festzuhalten.
Auf die Stundung von Mietzahlungen lassen sich viele Vermieter schnell ein
Einer der Vermieter hat übrigens sogar komplett auf die Mietzahlungen für die Monate von April bis Juni verzichtet. Das ist natürlich toll, aber auch eine Ausnahme.
immoverkauf24: In den Medien wurde ja berichtet, dass große Unternehmen wie Adidas, H&M oder Deichmann relativ bald nach dem Lockdown gesagt haben: Wir zahlen auch keine Miete mehr. Wie ist das juristisch einzustufen?
Ricarda Breiholdt: Mir ist auch aufgefallen, dass es häufig große Unternehmen waren, die ihre Mietzahlungen eingestellt haben. Klar ist, dass auch für diese Gewerbemieter der Kündigungsschutz des Art. 240 § 2 EGBGB gilt, wenn die Nichtzahlung der Miete Corona-bedingt erfolgt und der Mieter nicht über andere liquide Mittel verfügt. Dies dürfte bei den von Ihnen benannten Firmen eher zweifelhaft sein.
Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht die angeordneten Betriebsschließungen ein Minderungsrecht begründen können, so dass entweder gar keine oder nur ein Teil der Miete zu zahlen ist. Hier werden bislang verschiedene Rechts-Institute in der veröffentlichten Literatur diskutiert, so unter anderem das bereits erwähnte Minderungsrecht nach § 536 BGB sowie aber auch Unmöglichkeit nach § 275 BGB bzw. § 313 BGB, das Institut der Störung der Geschäftsgrundlage.
Ein Mangel ist meines Erachtens durch die verordneten Schließungen nicht gegeben, weil der Gewerberaum ja weiterhin durch den Mieter nutzbar ist. Dass vorübergehend keine Kunden hinein dürfen, ist ja kein Umstand, an dem der Vermieter irgendetwas ändern könnte. Anders wäre dies nur dann, wenn z.B. die Standsicherheit des Mietobjekts durch ein Erdbeben gefährdet und eine Schließung angeordnet wäre. Dann wäre das Mietobjekt selbst betroffen und würde einen Mangel aufweisen. Dies wiederum gehört in den Risikobereich des Vermieters.
Ein Fall der Unmöglichkeit hingegen liegt vor, wenn die Mietsache von niemanden mehr genutzt werden kann. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn das Mietobjekt durch Brand, Explosion oder ähnliche Umstände beschädigt ist, es also dem Mieter gar nicht mehr zur Verfügung steht. Dies ist jedoch bei Corona-bedingten Betriebsschließungen nicht der Fall; das Mietobjekt steht dem Mieter ja auch weiterhin zur Verfügung.
Um eine "Störung der Geschäftsgrundlage" nachzuweisen, müssten Gewerbemieter alle Zahlen offenlegen
Im Ergebnis sehe ich daher im Einzelfall nur einen Anspruch des Mieters nach § 313 BGB, also dem Institut der Störung der Geschäftsgrundlage. Damit lassen sich meines Erachtens interessengerechte Lösungen – jedenfalls punktuell – finden. Die Mieter müssten dazu ihre gesamten Zahlen offenlegen. Dann gilt es zu prüfen, ob es aufgrund der Pandemie zu erheblichen Umsatzeinbußen gekommen ist. Dazu kann man die Vergleichszahlen der Vorjahre heranziehen. Gegebenenfalls hat der Mieter zudem staatliche Hilfen erhalten oder verfügt über eine Betriebsunterbrechungs-Versicherung? Es sind also im Zweifel viele Fragen zunächst unter Heranziehung des gesamten Zahlenwerkes zu klären.
immoverkauf24: Und was können Vermieter solcher zahlungsunwilligen Großunternehmen nun tun?
Ricarda Breiholdt: So bitter es ist, aber das wird leider erst die künftige Rechtsprechung zeigen. Auch der Gesetzgeber könnte dazu noch konkrete Regelungen schaffen. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass hier noch nachgebessert wird, obgleich die faktischen Probleme bei Gewerbemietern und -vermietern dringend und oftmals auch existentiell sind. Viele Vermieter können es sich häufig gar nicht leisten, einfach nur abzuwarten. Denn es sind ja nicht nur Großvermieter, die die Mietausfälle gegebenenfalls noch kompensieren können, sondern auch private „kleine“ Vermieter, die auf die Miet-Einnahmen dringend angewiesen sind. Hier sollte es eine schnelle politische Lösung geben, damit die Betroffenen nicht fünf oder sechs Jahre darauf warten müssen, bis sich der BGH in letzter Instanz den schwierigen Rechtsfragen annimmt.
Alle diese Probleme müssen zudem in einer Situation gelöst werden, in der die mittel- und langfristige Entwicklung jedenfalls derzeit schwer absehbar ist. Wie entwickeln sich die Fallzahlen, gibt es einen weiteren Lockdown? Es ist wirklich eine außergewöhnliche und herausfordernde Zeit für alle.
Art. 240 EGBGB, § 1 Moratorium
„(1) Ein Verbraucher hat das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Verbrauchervertrag steht, der ein Dauerschuldverhältnis ist und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn dem Verbraucher infolge von Umständen, die auf die Ausbreitung der Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) zurückzuführen sind, die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung seines angemessenen Lebensunterhalts oder des angemessenen Lebensunterhalts seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht möglich wäre. Das Leistungsverweigerungsrecht besteht in Bezug auf alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse sind solche, die zur Eindeckung mit Leistungen der angemessenen Daseinsvorsorge erforderlich sind.“