Ist die Enteignung von Wohnungsunternehmen möglich?
Kaufpreise und Mieten von Wohnimmobilien sind in vielen Städten in den letzten Jahren deutlich gestiegen – in Berlin besonders drastisch. Die Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ will deshalb erreichen, dass tausende Wohnungen von großen Wohnungsunternehmen in die Gemeinwirtschaft übergehen. Ihr Argument: So könnten durch Gewinnmaximierung getriebene Mietsteigerungen verhindert und die Lage auf den Wohnungsmärkten entspannt werden. Doch wäre eine solche Maßnahme überhaupt rechtens und wie würde sie sich auf den Wohnungsmarkt auswirken?
Die Initiative will die Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen erreichen, nicht die Enteignung
Der Name des aus mehreren Mieterinitiativen hervorgegangenen Bündnisses „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ legt zwar nahe, dass die Initiative tatsächlich eine „Enteignung“ erreichen will, wie in Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) definiert. Gemeint ist jedoch eigentlich eine „Vergesellschaftung“ des Grundeigentums, basierend auf Artikel 15 GG. Das Bündnis will erreichen, das der Berliner Senat ein "Gesetz zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art. 15 Grundgesetz" erarbeitet. Es soll dann angewendet werden, wenn „Wohnungen durch einen Eigentümer in einem Umfang gehalten werden, der im Gesetz als ,vergesellschaftungsreif’ definiert wird“. Davon betroffen wären „alle Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht, gleich welcher Rechtsform“, die mehr als 3.000 Wohnungen in ihrem Bestand haben.
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Der Unterschied von Enteignung und Vergesellschaftung: Die Vergesellschaftung unterscheidet sich unter anderem in Ausmaß und Zielsetzung von der Enteignung: So ist die Enteignung auf einzelne Vermögensbestandteile gerichtet und wird etwa angewendet, wenn Immobilienbesitzern zum Zwecke des Braunkohleabbaus oder zum Autobahnbau ihr Eigentum entzogen wird. Bei der Vergesellschaftung ist das Ziel, Unternehmen oder ganze Wirtschaftszweige in die Gemeinwirtschaft zu überführen, um die Bedürfnisse der Allgemeinheit besser befriedigen zu können – und eben nicht die Gewinnerzielung. Beide Maßnahmen zur Entziehung von Eigentum sind entschädigungspflichtig.
In Berlin wären rund 243.000 Wohnungen von einer Vergesellschaftung betroffen
Der Deutsche Wohnen gehören allein in Berlin 115.600 Wohnungen, bundesweit sind es rund 160.000 Einheiten. Um ihr Anliegen durchzusetzen, hat die Initiative dem Berliner Senat Ende 2018 einen Beschluss vorgelegt, auf dessen Grundlage ein Volksbegehren in die Wege geleitet werden soll, dass schließlich in ein entsprechendes Gesetz münden soll. Die Aktivisten berufen sich auf Artikel 15 GG. Dieser besagt, dass unter anderem Grund und Boden zum Zweck der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Weil bisher noch keine Erfahrungen mit einer Vergesellschaftung vorliegen, hat der Berliner Senat drei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, darunter beim Verwaltungsrechtler Reiner Geulen. Sein Fazit: Es gibt bisher keine Rechtsprechung dazu, grundsätzlich stünde einer Anwendung der Regelung jedoch nichts im Wege. Es sieht auch keinen Hinweis darauf, dass eine solches Gesetz zur Vergesellschaftung der Wohnungsunternehmen mit dem ebenfalls gesetzlich verankerten Recht auf Schutz des Privateigentums kollidieren könnte. Allerdings müsse geprüft werden, ob das Ziel in Form der Schaffung angemessenen Wohnraums auch ohne diese Maßnahme erreicht werden könne, gibt er zu bedenken.
Als problematisch wertet der Jurist in seinem Gutachten die Höhe der Entschädigung für die Wohnungsunternehmen, die festgelegt werden müsste. Da es sich nicht um Schadenersatz handle, der sich am Verkehrswert orientiere, könne die Entschädigung auch deutlich unterhalb des Marktwerts liegen, so seine Einschätzung.
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Der Unterschied zwischen Schadensersatz und Entschädigung: Beim Schadensersatz wird der Gesamtwert eines materiellen Schadens ersetzt. Den Wohnungsunternehmen würden also der Gesamtwert der ihnen entzogenen Wohnungen erstattet. Bei der Entschädigung findet ebenfalls der finanzielle Ausgleich eines Schadens statt, jedoch findet häufig kein vollumfänglicher Ersatz statt. Für die Wohnungsunternehmen hieße das, dass eine Entschädigung auch deutlich unter dem Gesamtwert der entzogenen Wohnungen liegen könnte.
Über die Höhe einer Entschädigung hätte ein Gericht zu befinden
Der Beschluss, den das Bündnis dem Berliner Senat vorgelegt hat, enthält auch Angaben dazu, wie die Enteignung vollzogen werden soll. Demnach soll das Land Berlin eine Anstalt öffentlichen Rechts gründen, die dann die Wohnungen verwaltet. Dies solle die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbaren Mieten sicherstellen.
Laut einer Modellrechnung des Berline Senats wäre mit einer Entschädigungssumme in Höhe von bis zu 36 Milliarden Euro zu rechnen, die an die Immobilienkonzerne zu zahlen wäre. Das Bündnis hat mit 18 Milliarden Euro einen halb so hohen Betrag angesetzt. Würde ein Volksentscheid das gewünschte Ergebnis liefern, müsste ein Gericht darüber entscheiden.
Zur Sinnhaftigkeit einer Vergesellschaftung gibt es unterschiedliche Einschätzungen der Experten: Für Michael Voigtländer vom Institut der Deutschen Wirtschaft wäre es ein „Tabubruch“, durch den keine einzige neue Wohnung geschaffen würde. Mieter würden zwar entlastet, doch gleichzeitig würden die Enteignungen auf Investoren extrem abschreckend wirken, was sich negativ auf den Wohnungsbau auswirken könnte. Barbara Schöning, Professorin für Stadtplanung an der Bauhaus-Universität in Weimar, hält eine Vergesellschaftung hingegen für ein probates Mittel, um die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum sicherzustellen.