Urteil zur Mieterhöhung: Gutachterurteil schlägt Mietspiegel
Im Rechtsstreit um die Zulässigkeit einer Mieterhöhung hat der Immobilienkonzern "Deutsche Wohnen" sich gegen einen Mieter durchgesetzt. Einem aktuellen Urteil zufolge halten die Richter am Landgericht Berlin den strittigen Mietanstieg für rechtlich zulässig. Die Brisanz der Entscheidung: Die Richter stützten sich in dem Urteil nicht auf den Mietspiegel, sondern auf das Urteil eines Sachverständigen (AZ: 63 S 230/16).
Im verhandelten Fall ging es um eine Erdgeschoss-Wohnung mit einer Wohnfläche von 70 Quadratmetern in der Argentinischen Allee in Berlin-Zehlendorf. 2015 erhöhte die Gehag, eine Tochtergesellschaft der Deutsche Wohnen, die Nettokaltmiete von 532,52 Euro auf 575,35 Euro, was für die Mieter einen monatlichen Aufschlag von 42,83 Euro bedeutete. Die Mieter weigerten sich, die Deutsche Wohnen zog vor Gericht. Das Amtsgericht Schöneberg urteilte 2016 zunächst zugunsten der Mieter. Das Immobilienunternehmen ging in Berufung – und erhielt nun von der 3. Kammer des Landgerichts Berlin Recht: Eine Mieterhöhung sei zulässig, die Mieter müssten dieser zustimmen.
Landgericht: Der Berliner Mietspiegel 2015 basiere nicht auf anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen
Was das Urteil aus der Vielzahl von Entscheidungen zu Mietstreitigkeiten heraushebt, ist der Umstand, dass die Richter ihr Urteil auf die Ausführungen eines Immobiliengutachters stützen. Dieser hatte die Wohnung aufgrund von Vergleichswohnungen aus seinem Datenbestand bewertet. Das Landgericht erkannte dies als Grundlage für eine Mieterhöhung an, den Mietspiegel 2015 hingegen nicht: Nach Einholung eines gerichtlich anerkannten Sachverständigengutachtens sei der Mietspiegel 2015 keine geeignete Schätzgrundlage. Zitat aus dem Urteil: „Auch ein einfacher Mietspiegel muss zumindest anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen bei seiner Erstellung folgen. Fehlt es bereits daran bzw. sind die der Erstellung zu Grunde liegenden Daten nicht nach anerkannten festgestellten Grundsätzen ausgewertet, fehlt es nicht nur an der Repräsentativität der Schätzgrundlage, sondern auch an dessen Eignung…
Der Berliner Mietspiegel 2015 ist hiernach keine geeignete Schätzgrundlage, da er auf Daten beruht, die nicht nach anerkannten Grundsätzen ausgewertet worden sind.“
Mietervereine kritisierten das Urteil, weil durch dieses die Verbindlichkeit und Rechtssicherheit des Berliner Mietspiegels geschwächt werde und Mieter verunsichert würden. Die stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins, Wibke Werner, monierte laut „Tagesspiegel“ zudem, dass die Richter nicht erläutert hätten, warum das Gutachten des Sachverständigen zur Legitimierung der Mieterhöhung dieses Kriterium erfülle – obwohl es auf weniger Datensätzen basiere als der Mietspiegel.
Andere Gerichte hatte die Wirksamkeit des Mietspiegel bestätigt
Wie der „Tagesspiegel“ weiter berichtet, habe die Kammer 63 des Landgerichts bereits vor vier Jahren die Gültigkeit des Mietspiegels infrage gestellt und entsprechend vermieterfreundlich entschieden. Die Tragweite des Urteils sei jedoch ungewiss. Einerseits könne es weitere Mietstreitigkeiten dazu animieren, über Gutachten das Mieterhöhungspotenzial auszureizen. Andererseits habe bislang lediglich diese Kammer den Mietspiegel zugunsten einer gutachterlichen Mieterhöhung gekippt, so die Tageszeitung. Somit könne sich keine Immobiliengesellschaft sicher sein, nicht an eine Kammer zu geraten, die anders urteile.
Die Deutsche Wohnen steht seit längerer Zeit wegen ihrer Mietenpolitik stark in der Kritik: Bereits mehrfach hatte das Unternehmen den Berliner Mietspiegel als nicht rechtssicher und angreifbar bezeichnet und deshalb Vergleichswohnungen anstelle des Mietenspiegels 2015 für die Legitimierung von Mieterhöhungen herangezogen.
Die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ versucht derzeit, über die Sammlung von Unterschriften ein Volksbegehren auf den Weg zu bringen, dessen Ziel die Vergesellschaftung von Wohnungen großer Wohnungsunternehmen in Berlin ist. Siehe: News Enteignung.